Presseschau 5 – über das Thema „Du sollst nicht Töten“

 

„Nichts anderes als Tötung“                  

(Aargauer Zeitung, 23. Juli 2001)

...Für Christian Kissling, Sekretär der Kommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz, ist eine direkte und aktive Sterbehilfe „nichts anderes als Tötung“. Euthanasie drohe damit‚ zur alltäglichen ärztlichen Handlung’ zu werden, der Tod zum ‚Tod auf Bestellung’ ....

  

„Dunkelziffer ist vermutlich enorm hoch“     

(Tages Anzeiger, 6. Juli 2001)                          

Die Luzerner Behörden sind schockiert ob der Tötung von neun Frauen in einem Betagten-Zentrum...

..Die Muster aber, wie die Täter agieren und auch wie solche Fälle aufgedeckt werden, gleichen sich, sagt Hans-Ulrich Kneubühler....

„Todesengel“ und ihre Fälle: Februar 2001: Budapest: eine Krankenschwester festgenommen, bis zu 40 Patienten getötet....  -   Januar 2001: britische Regierung.. wirft dem bereits egen 15fachen Mordes verurteilten englischen Arzt Harold Shipman vor, insgesamt bis zu 297 meist ältere Patienten ermordet zu haben.... – April 1999: in einer Klinik des Pariser Vorortes Mantes-la-Jolie  vermutlich Tötung von 30 Patienten...   -  Mai 1999: ... Krankenpfleger in der brasilianischen Metropole Rio de Jeneiro verdächtigt 150 Patienten getötet zu haben...  -  August 1997: ägyptische Krankenschwester.. 18 Patienten in einem Spital in Alexandria umgebracht zu haben... – und weitere Fälle sind genannt von norwegens Alesund, englischen Nottingham, Hilfspflegerinnen des Krankenhauses Lainz (42 alte Patienten).

Missbrauchs Risiko                             

(Neue Mittelland Zeitung 6. Juli 2001)

...Skeptischer gegenüber aktiver Sterbehilfe ist der leitende Arzt für Krebskrankheiten am Kantonsspital Luzern, Hubert Schefer. „Ich hätte wohl nicht nur ethisch sehr Mühe, aktive Sterbehilfe selber anzuwenden, sondern bin auch eher skeptisch gegenüber der Zulassung allgemein.“ Schdfer sieht vor allem ein Missbrauchsrisiko....

Der Todespfleger von Luzern: er war so raffiniert, dass lange niemand Verdacht schöpfte     

(Blick, 6. Juli 2001)

...Der Mann gesteht, dass er neun Frauen getötet hat. Aber die Gerichtsmediziner finden keine Beweise gegen ihn. Der Täter, ein Pfleger des städtischen Alters- und Pflegeheims Eichhof, war so raffiniert, dass m onatelang niemand etwas merkte.

Bedenkliche Unterstützung                                 

(Aus „Kirchenbote“ „Echo“ / Juli 2001)

Zum Streitgespräch zur Fristen­lösung im Kirchenboten anfangs Juni

Als reformierter Kinderarzt kann ich die unhaltbaren Äusserungen von Ursula Angst nicht im Raume stehen lassen. In ihrem Schlussvotum «ist sie nicht der Ansicht, dass man ein Kind durch eine Abtreibung tötet, sondern dass man ihm lediglich die Mög­lichkeit nimmt, sich zu einem le­bensfähigen Menschen zu ent­wickeln». So einfach ist das für Frau Angst - wenn man, wie sie, ohne Wissen grundlegender Tat­sachen urteilt.

Wissenschaftlich ist erwiesen, dass der Embryo von der Zeugung an lebt und insbesondere alle potenziellen Anlagen für das Leben in sich trägt. Er reift bis zur Geburtburt heran, ist aber, nach der Auf­fassung von Frau Angst, auch als Säugling und Kleinkind «nicht le­bensfähig», wenn seine Mutter nicht für Zuwendung, Ernährung und Pflege sorgen würde. Erst in vielen Jahren entwickelt sich aus der embryonalen Anlage ein Mensch mit all seinen spezifi­schen, persönlichen Merkmalen, Fähigkeiten und Eigenschaften.

Es ist ein unerhörter Zynismus, wenn die Befürworter der Fristen­lösung bemüht sind, einen will­kürlichen Zeitpunkt für «den Be­ginn des Lebens» zu bestimmen. Wir pochen darauf, ein Rechts­staat zu sein - und ausgerechnet das höchste Recht jedes Men­schen, nämlich das Recht auf Le­ben, wird von den Befürwortern willkürlich ausgelegt!

Am bedenklichsten aber ist die Tatsache, dass neben den CVP-Frauen unsere kirchlichen Instan­zen die Fristenlösung unterstüt­zen, obwohl sie eigentlich Garant für ethische Grundwerte des Men­schen sein sollten.                                                         

Dr. Peter Stöcklin, Gelterkinden

 

Nationalratsdebatte zur Sterbehilfe

(Neue Zürcher Zeitung, Zürich    Auflage:   169’118 Ex.)

06.07.2001 

Knapper Entscheid zur Lockerung des Euthanasie-Verbots

Die Rechtskommission des Nationalrats hat sich für eine Strafbefreiung der Tötung auf Verlangen ausgesprochen, wenn damit Todkranke von unerträglichen und unheilbaren Leiden befreit werden. Angesichts der knappen Abstimmung und der jüngsten Vorfälle in einem Luzerner Pflegeheim steht der Entscheid auf wackligen Füssen. Eine breite Debatte zum Thema Sterbehilfe ist für die Herbstsession geplant.

rom. Bern, 5. Juli

Der Präsident der nationalrätlichen Rechts­kommission, J. Alexander Baumann (svp., Thurgau), kann sich gut vorstellen, dass sein Gremium in Kenntnis der Vorfälle in einem Luzerner Pflegeheim anders entschieden hätte. Er selber widersetzt sich den knappen Mehrheitsbeschlüs­sen mit einem Minderheitsantrag und mit dem Argument, der Entscheid über Leben und Tod dürfe nicht dem Menschen überlassen werden. Diese Sicht deckt sich grundsätzlich mit der Hal­tung des Bundesrats. In einem Bericht ans Parlament hatte die Landesregierung vor einem Jahr jede Lockerung des Verbots der aktiven Sterbe­hilfe abgelehnt und lediglich eine gesetzliche Regelung der geltenden Praxis bei der passiven und bei der indirekten Sterbehilfe zur Diskussion gestellt.

Brisante Parlamentsdiskussion

Nach Auskunft von Kommissionspräsident Baumann werden die beiden Vorstösse in der Herbstsession behandelt. Im Gegensatz zum übli­chen Verfahren bei parlamentarischen Initiativen sollen nicht nur die Kommissionssprecher zu Wort kommen. Angesagt ist vielmehr eine Debatte zum Thema Sterbehilfe, bei der auch die Fraktionen Stellung nehmen können. Damit wird dem Wunsch des Bundesrats Rechnung getragen, der auf klare Vorgaben des Gesetzgebers zur Regelung der Sterbehilfe pocht. Für den Präsi­denten der Rechtskommission sind die beiden parlamentarischen Initiativen denn auch bloss Mittel zum Zweck, indem sie eine politische Dis­kussion des brisanten Themas ermöglichen. Die schwierige Ausarbeitung der rechtlichen Bestim­mungen - im Strafgesetzbuch oder in einem Spezialerlass - würde dann aber an die Verwaltung abgetreten, obwohl über den Weg der parlamen­tarischen Initiative das Parlament normalerweise das Heft selbst in die Hand nimmt.

 

Bedenkliche Unterstützung                                    

(Neue Luzerner Zeitung  6. Juli 2001)

Abwesende ermöglichten Überraschung.... Der direkte aktive Sterbehilfe soll unter strengen Vorschriften erlaubt sein. Der Kommissionsentscheid erstaunt, vor allem, wenn man weiss, wie er zu Stande kam.... viele fehlten... einige waren gar nicht mehr anwesend, weil sie andere Termine wahrnehmen mussten.

 

LESERBRIEF

Nicht über Leben und Tod richten

(Mittelthurgauer Tagblatt, St. Gallen 14.07.2001,  971096)

Die tragischen Ereignisse in einem Luzerner Altersheim haben die Sterbehilfe zum aktuellen Thema gemacht Dazu kommt, dass die Rechtskommission des Nationalra­tes in der gleichen Woche eine par­lamentarische Initiative des SP-Fraktionschefs behandelt hat, in welcher  die  Straffreiheit  der direkten aktiven Sterbehilfe gefordert wird.

Einem dem Ende seines Lebens zugehenden Menschen beim Ster­ben zu helfen, ist eine selbstver­ständliche, wenn auch schwierige Pflicht von Angehörigen, Ärzten und Pflegepersonal. Unter Sterbehilfe wird allerdings auch etwas anderes verstanden, nämlich Hilfe zum Sterben, d.h. Herbeiführen des Todes durch gezielte Handlungen des «Sterbehelfers» (gezielte Tö­tung) zur Verkürzung der Leiden eines   Menschen.   Diese   als direkte aktive Sterbehilfe bezeich­nete Tat erfüllt den Strafbestand der Tötung auf Verlangen (Art. 114 Strafgesetzbuch) oder der vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) und ist strafbar. Davon zu unterscheiden ist die strafrechtlich zulässige indirekte (aktive) Sterbehilfe. Darunter versteht man die Anwendung einer Therapie durch den Arzt, welche auf die Linderung des unerträglichen Leidens und der Schmerzen ausgerichtet ist, bei welcher jedoch als Nebenwirkung eine Leberisverkürzung in Kauf genommen wird. Ent­scheidend ist dabei die der Handlung zugrunde liegende Absicht Wenn das Ziel des Handelns in der Linderung des unerträglichen Lei­dens und nicht in der Beendigung des Lebens liegt, gilt sie als zulässig. Dies ist auch in den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Me­dizinischen Wissenschaften so festgehalten.

Die so genannte passive Sterbe­hilfe bedeutet den Verzicht auf eine lebenserhaltende Massnahme oder den Abbruch einer früher ein­geleiteten Massnahme. Der Verzicht auf die künstlich lebensverlängernden Hilfsmittel hat zur Folge, dass der Tod auf natürliche Weise erfolgt Er wird aber nicht durch die Handlung herbeigeführt. Auch diese zumeist vom Arzt geleistete Form der Sterbehilfe ist nicht strafbar, sie ist in den genannten Richtlinien ausdrücklich erlaubt

Für die geltende Rechtsauffas­sung 'besteht also die Schnittstelle zwischen dem strafbaren Töten und dem zulässigen Sterbenlassen. Die aktive Sterbehilfe (Akt des Tuns) im Sinne einer Tötung eines Menschen ist strikte verboten, die passive Ster­behilfe (Akt des Unterlassens) als Sterben in seiner natürlichen Form des Ablaufs wird zugelassen. Solan­ge der Arzt der passive oder indirekte Sterbehilfe leistet keine Tötungsabsicht hat kann ihm egal ob er handelt oder unterlässt  keine Widerrechtlichkeit vorgeworfen werden.

Die mit der genannten Initiative angestrebte Ausserkraftsetzung des Tötungsverbotes darf generell nicht erlaubt sein. Auch wer aus Mitleid tötet macht sich schuldig. Toten ist nicht möglich ohne Schuld auf sich zu nehmen, und das soll auch rechtlich seinen Ausdruck finden. Die direkte aktive Sterbehilfe steht im klaren Widerspruch zur klassischen Aufgabe des Arztes, zu heilen und Leben zu erhalten. Er hat die Rolle des Heilenden und Helfenden zu erfüllen. Bei Zulassung der direkten aktiven Sterbehilfe wäre der Arzt gezwungen, über die Angemessenheit des Todeswunsches zu ent­scheiden. Er würde zum Richter und Vollstrecker eines von ihm

gefällten Urteils über Wert oder Unwert des Lebens eines anderen Menschen.

Bei einer Relativierung des Tötungsverbotes könnten Missbräu­che und Gefahren (Option zur Tötung aus gesellschaftlichen, ökonomischen oder zwischenmenschlichen Zwängen) nicht ausgeschlossen werden. Der Zeitpunkt des Todes eines Menschen darf nicht von seinen Erben mitbestimmt werden.

Das menschliche Leben und die Freiheit sind die höchsten Güter, die wir in unserer Gesellschaft zu verteidigen haben. Wenn wir dies ernst meinen, dürfen wir mit diesen Werten keine Experimente unternehmen, und wir dürfen beim Schutz dieser Werte keine Spielräume gewähren.

 Alexander Baumann, Nationalrat SVP, Kreuzlingen

 

(Sonntags Zeitung,  Zürich  15.07.2001, Auflage: 220'102 Ex. 50 Ausg./J)           

Völlig absurd

«Aktive Sterbehilfe: Debatte angeheizt», sonntagszeitung vom 8. Juli

Vor jedem ethischmoralischen Damm­bruch werden die Worte immerklich mu­tiert! So auch vor diesem! Dem Gefühl des Mitleids folgt bisher der Impuls zum «Helfen beim Sterben»; dies zeigt sich im Bemühen, durch menschliche Anteilnahme und schmerzlindernde medizinische Massnahmen bis zuletzt ein Maximum an Lebensqualität zu erhalten und vor allem in emotionaler Geborgenheit ein würdiges Sterben zu ermöglichen! Wenn schon nicht innerhalb der eigenen Familie, so doch zumindest in Pflegeheimen, in denen diese Maxime der vertrauensvollen Hilfe gelebt wird. Der jetzt gestreute Mitleidsbegriff beinhaltet dage­gen den Impuls der «Hilfe zum Sterben», im Sinne der Tötung aus Mitleid. Der  Mitleidsbegriff entartet zu einer Legitimation zur Tötung, und zwar dann, wenn das Mitleid subjektiv für den Pflegenden unerträglich wird, wie dies jetzt in Luzern und wie es in den Niederlanden bereits in Tausenden von Fällen nachweisbar geschehen ist. Mitleid wird zu einer moralischen Kategorie erhoben, die in seiner höchsten Ausprägung eine Tötungshandlung mit einschliesst. Der Pflegende entledigt sich damit einer moralischen Schuld. Die Handlung wird in dieser Logik zum höchsten Akt der Menschlichkeit. \- dr. johannes schmid, zürich

 

Den Begriff «Töten aus Mitleid» empfinde ich als völlig absurd. Die palliative Pflege steht jederzeit im Dienst des Lebens  auch in der letzten, oft leidvollen Phase. Untersuchungen zeigen, dass Todeswünsche Leidender  verschwinden, sobald ihre Leiden gelindert sind und sie die notwendige Fürsorge erfahren. Ich selber spüre während der Pflege schwer leidender Personen eine starke Wärme und Geborgen­heit. «Aktive Sterbehilfe» müsste in mei­nen Augen so aussehen, dass Leidende mit einer solchen Liebe umsorgt würden, dass sie ein «Ja» zu ihrer Lage sagen könn­ten. Aufgeschreckt durch die Tötung von wehrlosen Betagten, nehmen viele Mitbürgerinnen die «Kultur des Todes» erst jetzt zur Kenntnis. Weil die schleichende Zersetzung des uneingeschränkten Lebensrechts schon längst in Gang und die Verarbeitung von Schwerem und Leidvollem anspruchsvoll ist, kommen «verfehlte Hilfen» zum Einsatz. Das ehemals heilige, unantastbare Leben vor und nach der Geburt darf heute «legal» zerforscht, selektiert und euthanisiert werden. Steuern wir einem tabulosen Zeitalter entgegen?

stefan RÜEGC, LU2ERN  

 

Wissen wollen, was gilt

Wer ein Patiententestament verfasst und darin festhält, dass bei irreversibler Krank­heit und unerträglichem Leiden lebensverlängernde Massnahmen eingestellt werden sollen (passive Sterbehilfe), besteht auf seinem Recht, nach eigenem Wunsch mit dem Leben abzuschliessen und im Falle von eige­nem Unvermögen dabei unterstützt zu werden. Dass Sterbehilfeorganisationen sich zu Anwälten von unter bestimmten Umständen sterbewilligen Menschen machen, gehört zu dem Kontrakt, den ihre Mitglieder mit den­selben abgeschlossen haben.

Kontrovers beurteilt wird vor allem die Frage, ob Sterbehelfer in staatlichen Institutionen tätig werden dürfen. In Zürich hat man sich dafür entschieden  nach heftigen, ausgiebigen Diskussionen und ohne dass jedermann glücklich über diesen Entscheid wäre. Sterbehilfeorganisationen, ob sie nun am Wohnort oder in einer Institution agieren, dürfen nicht ohne Beizug eines Vertrauensarztes handeln. In einer Institution kann ihr Vorgehen jedoch besser kontrolliert werden als ausserhalb einer solchen, wo die ohnehin unklare Grenze zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe verschwimmt.

In einer medizinischen oder sozialen Einrichtung haben im Falle der Zulassung von streng reglementierter und kontrollierter aktiver Sterbehilfe aber nicht nur die einzelnen Sterbewilligen im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen,  sondern auch das Empfinden und das Wohlbefinden des ganzen Umfeldes. Dass kein allgemeines Unsicherheitsgefühl aufkommt in Häusern, die Geborgenheit garantieren sollen und wollen, lässt sich nur vermeiden, wenn die Regeln gegenüber Patienten, Angehörigen und Personal völlig transparent gemacht werden. Nur wenn ausser Frage steht, dass Menschen mit ihrem Sterbewunsch allein gelassen werden, aber auch, dass bei anderen ein solcher geweckt werden könnte, kann das Vertrauen gewahrt werden. Dazu gehört auch eine strikte Trennung der Rollen und Aufgaben, die heute schon besteht und die Pflegenden verbietet, sich und sei es aus Mitleid  als Sterbehelfer zu betätigen. Ein solches Mitleid erübrigt sich, sobald Gewissheit besteht, dass dem als unerträglich empfundenen Leiden oder bewusstlosen Dahindämmern unter Wahrung der Würde des Patienten begegnet werden darf. Solange das offene Reden über Sterbehilfe ein Tabu ist, leidet die Gewissheit, in guten Händen zu sein, die sich lange vor dem Eintritt in ein Heim fes­tigen können muss. Dass das Reden im Herbst weitergeht, tut not.

He.

Siehe auch den Artikel:

„Die Alten kosten zu viel“

von Professor René Spiegel, BaZ Gast vom Montag, 30. Juli, Seite 10) (mit freundl. Genehmigung)

(Anmerkung der SGFL Internet-Redaktion: Wirklich?? – Antwort siehe unten! – Hervorhebungen durch – wie z.B. bei ‚Schamröte ins Gesicht treiben’ - durch SGLF Ineternet-Red., aber keinerlei Änderungen des Wortlauts. Weiterer Hinweis: Vergleichen Sie die beachtenswerten Ausführungen von Prof. Spiegel mit den bestürzenden Aussagen in anderem Artikelvon Attali wurde folgende Aussage berichtet wie z.B. jene des ehemaligen franz. Präsidenten-Beraters Jacques Attali: „alles was nichts mehr bringt.... link: www.schweiz-lebenshilfe.ch/dusollst/du_sollst_nicht.htm

Im Rahmen des Wissenschafts-Festivals „Science et Cité“ nahm ich anfangs Mai an einer sog. Diskutier-Bar in Liestal teil. Unter der Leitung von Ueli Heiniger diskutierten eine Ethnologin, eine Politikerin, ein Geriater, ein Psychologe und ein Gesundheitsökonom zum Thema „150 Jahre alt werden: ein (Alb)traum?“. Der Geriater sprach von biologischen und medizinischen Aspekten der Alterung und von den Möglichkeiten der Lebensverlängerung; der Psychologe (ich) erzählte, dass mehrere von ihm befragte ältere Personen die Möglichkeit einer Verlängerung ihres Lebens auf 150 Jahre vehement abgelehnt hatten; die Ethnologin beschrieb, wie man in gewissen afrikanischen Kulturen mit den alten Angehörigen umgeht; die Politikerin (eine Graue Pantherin) äusserte sich kritisch über die soziale und wirtschaftliche Stellung der Senioren in unserem Land, und der Gesundheitsökonom wies darauf hin, dass eine weitere Verlängerung des Lebens zu noch grösseren Finanzierungs-Schwierigkeiten der AHV und des Gesundheitswesens führen müsse.

Recht bald schaltete sich das Publikum in die Diskussion ein, und es wurden Fragen nach der Stellung der Alten in unserer leistungsorientierten Gesellschaft, nach dem Umgang der jüngeren Generation mit den Alten, nach unserer Einstellung gegenüber dem eigenen Altern und dem Tod gestellt. Viele Fragen und Stellungnahmen waren sehr persönlicher Natur, die Leute sprachen von ihren eigenen Erfahrungen, Hoffnungen und Aengsten. Immer wieder kam man auf die Kosten zu sprechen, die alte Menschen – ob gesund oder krank – verursachen: für AHV, Krankenversicherung, Pflegewesen. Der oft gehörten Aussage, alte Menschen seien ja doch unproduktiv und kosteten (zu) viel, wurde entgegengehalten, gerade den heutigen Alten hätten die Jungen den Wohlstand in unserem Land zu verdanken; es sei deshalb nicht angebracht und wenig moralisch, den politisch und persönlich oft wehrlosen Senioren den Anspruch auf Gesundheits- und Sozialleistungen absprechen zu wollen.

Beeindruckt waren wohl viele, als ein älterer Herr aufstand und sagte, er sei jetzt 86 Jahre alt, körperlich und geistig rüstig, materiell sichergestellt – er frage sich aber oft, ob er überhaupt noch existenzberechtigt sei. Ständig müssten er und seine Altersgenossen hören, die Alten seien eigentlich unnütz, sie konsumierten nur noch, ohne etwas zu produzieren; da stelle sich doch mancher die Frage nach seiner Existenzberechtigung - und was die Fachleute dazu meinten? Wir „Fachleute“ auf dem Podium waren perplex: Wie antwortet man einem alten Menschen, der an seiner Existenzberechtigung zweifelt? Wem steht es zu, ein Urteil über die Existenzberechtigung eines anderen Menschen abzugeben? Da die Frage – wenigstens oberflächlich gesehen – als Teil der Diskussion über Gesundheits- und andere Kosten gestellt worden war, versuchte ich eine Antwort zu geben, die ebenfalls ökonomische Gesichtspunkte ins Zentrum stellte:

1. Es trifft zu, dass ältere Menschen bedeutend mehr Gesundheitskosten verursachen als jüngere und dass ein Teil der sog. Kostenexplosion im Gesundheitswesen durch die zunehmende Zahl von Menschen verursacht wird, die 80, 90 und mehr Jahre alt werden. Man darf aber nicht vergessen, dass das Geld, das auf der einen Seite für Pflege etc. ausgegeben wird, nicht einfach verloren geht, sondern auf der anderen Seite eingenommen wird: in Form von Löhnen und Salären von Schwestern, Pflegern, Aerzten und weiterem Personal im Gesundheits- und Sozialwesen; als Einnahmen von Apotheken, Zwischenhändlern und Pharmafirmen für Medikamente; in Form von Investitionen in Apparate, Hilfsmittel und Bauten. Das im Gesundheitswesen ausgegebene Geld wird also nicht vernichtet, sondern bleibt im Wirtschaftskreislauf produktiv.

2. Wenn man davon spricht, dass alte, wirtschaftlich unproduktive Menschen viel Geld kosten, dann sollte man doch auch einmal in Betracht ziehen, was junge und wirtschaftlich ebenso unproduktive Menschen kosten, z.B. für Schule, Berufsausbildung oder Studium. Ein Beispiel: Vor kurzem hat die Universität Basel ihren Jahresbericht 2000 veröffentlicht: Der Gesamtaufwand belief sich letztes Jahr auf 317.7 Millionen Franken, die Zahl der Studierenden aller Fakultäten betrug 7606, ein durchschnittlicher Student kostete im Jahr 2000 also Fr. 41‘800.-. Legt man eine mittlere Studiendauer von 6 Jahren zugrunde, dann kostet ein ausgebildeter Akademiker die Gesellschaft durchschnittlich rund Fr. 250‘000.-, die vorangehende Schulzeit, Gesundheits- und Lebenskosten etc. in dieser „unproduktiven Lebensphase“ nicht eingerechnet. Nebenbei: Juristen, Oekonomen und Geisteswissenschafter sind viel billiger als der genannte Durchschnittswert, Naturwissenschafter und Mediziner viel teurer.

Dies mögen ungewohnte und vielleicht unsinnige Ueberlegungen und Berechnungen sein – sie zeigen aber, dass eine rein ökonomische Betrachtung von sozialen Fragen rasch zu absurden Konsequenzen führt. Bei unseren Jungen sind wir ohne Einschränkung bereit, als Eltern und als Gesellschaft eine massive wirtschaftliche Vorleistung zu erbringen, da wir annehmen, diese werde sich eines Tages – im Sinne einer langfristigen Investition – auszahlen. Bei den Alten aber, die vor 30 oder 40 Jahren für unsere Generation ebenso grosse Vorleistungen erbracht haben, neigen manche zu einem kalten Kosten-Nutzen-Denken, das ihnen eigentlich die Schamröte ins Gesicht treiben müsste!

Solche Gedanken waren und sind zwar keine ausreichende Antwort auf die Frage des alten Herrn in Liestal nach seiner Existenzberechtigung, sie könnten aber zu einer etwas faireren Betrachtung der von Alten „verursachten“ Kosten beitragen.          

Nochmaliger Hinweis der SGLF Internet-Redaktion: führen Sie sich (nochmals) zu Gemüte was der ehemalige persönliche Berater von Präsident Mitterand (auch Präsident der Europ. Bank für Aufbau und Entwicklung) sagte – im 4. Abschnitt des folgenden Artikels -:

http://www.schweiz-lebenshilfe.ch/dusollst/du_sollst_nicht.htm

was eine Wiederholung analoger Aussagen in der 30er Jahren des letzten Jahrhunderts darstellt – mit all ihren schrecklichen Folgen hernach: war jene Zeit nur ein Vorläufer zur heutigen, allwo man alles nur noch nach materiellen Gesichtspunkten zu beurteilen scheint? 

 

<<>>